Faszination Analogfotografie

An und für sich ist es wirtschaftlich und zeitökonomisch völlig unsinnig heutzutage mit Film Fotos zu machen. Smartphones oder die mannigfachen Digitalkameras erledigen das, was geschätzt 150 Jahre mühselig und teuer war, billig, schnell und in sehr guter Qualität.
Genau: billig, schnell und in sehr guter Qualität. Da liegen die Probleme!

  1. Billig: Was nichts kostet, muss ich auch nicht besonders Wert schätzen? Mache ich doch noch ein Dutzend weitere Fotos vom selben „Event“. Es wird schon etwas dabei sein.
  2. Schnell: Ein schnelles Foto ist zumeist ein unüberlegtes Foto – echte glückliche Schnappschuss-Momente mal ausgenommen. Aufbau mehr Zufall – das Objekt in einem Zustand, der nachher nicht mehr interessiert.
  3. In sehr guter Qualität: Damit werden die Bilder unwahr und austauschbar. Ein Smartphone Foto kann so schöngerechnet sein (KI macht’s möglich), dass die Realität beim Anblick vor Scham dahinter versinkt. Für die Masse der noch nicht KI-gerüsteten Apparaturen gibt’s ja auch noch PhotoShop.
    Nichtsdestotrotz verschiebt sich der Blick des Fotografen weg vom Objekt auf die letzten Pixel und Hautfalten der abgelichteten Angebeteten.
    Die Imagination, der Zauber, geht verloren. Statt einem phantasie-anregenden Abbild der Realität staunen wir über ein Abbild, dass größer ist als die Realität.

Warum dann Analog?

Für mich ist das Faszinierende, dass die Analogfotografie dies bewirken kann:

  • Förderung des bildhaft anschaulichen Vorstellens („Imagination“)
  • Förderung der persönlichen Konzentration und des Einfühlungsvermögens („Empathie“)

Imagination

Denken

Das Foto, aufgenommen nur mit dem Licht des Smartphones, lässt Raum für die Gedanken über Situation: Konzentration auf wichtige Nachrichten, Abendmüdigkeit oder nur Zerstreuung.
Wir wissen es nicht. Wir sind aber dazu eingeladen, darüber nachzudenken.

Bildbetrachtung

Das Foto ist technisch misslungen. Ich habe es aus Versehen mindestens zwei Stufen unterbelichtet. Das quittiert der Fomapan 400@800 auch gnadenlos mit Korn.

Aber hebt dies nicht den Moment des Betrachtens eines Paares durch ein anderes Paar in einen sehr privaten Moment?

Innsbruck mit Blick auf Nordkette

Selbst in Farbe – finde ich – funktioniert es mit der Imagination. Statt eines scharfen Abbildes lässt das Bild Raum für die Faszination und Frische der Berge. Eine nicht ganz perfekte Farbkorrektur entrückt zudem der Realität.
Man darf träumen.

Konzentration & Empathie

Besonders wichtig ist mir, dass die Analog-Photografie dies besonders fördert:

  • alle Sinne auf Ort und Gelegenheit zu konzentrieren und einzufühlen
  • konzentriert das Handwerkszeug anzuwenden.

Während bei Gelegenheit auch zu Smartphone und Digitalkamera greife, mache ich sehr gerne Analog-Fotos bei Urlaubsreisen.
In der Regel braucht „kein Mensch“ diese Aufnahmen und ich kann mich im Zuge der Ablichtung voll und ganz in den Ort oder die Situation einfinden.

Bozen Bergbahn

In der Aufnahmesituation musste man den richtigen Moment erwischen, um die Martialität der Seilbahn und die majestätische Aussicht auf Bozen einzufangen.

Die etwas diesige Sicht stört mich nicht. Im Gegenteil lässt sie die sichere Ankunft in der Talstation im Ungewissen („Imagination“).

Fahrräder

Eigentlich war ich nur auf dem Weg zum Einkaufen, als ich bemerkte, dass ich mein Fahrrad neben einem sorgsam eingeparkten Laufrad einsortieren durfte.
Sehen + einfangen.

Bern

Die Aufnahmesituation war nur schwer vorherzusehen. Wichtig war hier für mich, die Straßenstruktur quasi vorab gestalterisch zu erfassen und dann als die beiden Damen in Aktion traten, handwerklich konzentriert aufzunehmen.

Analogfotografie in der Neuzeit

Aus den Absätzen oben erkennt man, dass mir an der Aufnahme als solcher liegt. Während ich auch auch praktischen Gründen gerne die S/W-Filme selbst entwickele, verzichten ich liebend gerne auf die Arbeit in der Dunkelkammer, um wieder ein Positiv-Bild zu erhalten.
Man hat heute mit Scanner und Lightroom einfach zeitgemäßere Mittel, um Bilder aufzubereiten und zu teilen.

Zugeben muss ich, dass ich auch bei Gelegenheit zu Smartphone und Digitalkamera greife. Das Smartphone darf herhalten für vor allem dokumentatorische Zwecke (z.B. die Schramme im Motorroller, die Workshop-Flipchart) und notgedrungen als allerletzter Ersatz.
Um mir Nervenkitzel und wenn’s knapp ist, Zeit zu ersparen, fotografiere ich mit einer Fujifilm X100T bzw. X70 (X100T als „Uzi“). Die Kameras sind  etwas angejahrt, aber wie die Analog-Kameras präzise Instrumente für volle Bild- und Belichtungskontrolle.

Ein wenig mit Wehmut betrachte ich meine eigenen alten Negative und Papierbilder aus den 70er und 80er Jahren. Das, was sie einmal festgehalten haben, ist immer noch sauber erkennbar. Meine alten Floppy-Disks, DVDs und alten Festplatten haben dagegen die Daten der Vergangenheit längst aufgegeben.
Vermutlich überdauern auch meine heutigen analogen Negative die an-und-für-sich so perfekten digitalen Nachfolger.

Diese Aussichten finde ich faszinierend.

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